Besonderer Vermögensschutz bei Opfern von Gewalttaten

Mit Urteil vom 30.04.2020 hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass Vermögen, das aus Zahlungen einer Grundrente an ein Opfer einer Gewalttat angespart worden ist, unter dem Gesichtspunkt einer besonderen Härte geschützt sein kann und nicht aufgebraucht werden muss, bevor ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht.

Dem Verfahren des BSG lag zugrunde, dass die Klägerin als zehnjährige Opfer einer Gewalttat ihres Vaters wurde. Im Jahr 2004 stellte das Versorgungsamt als Schädigungsfolge eine psychoreaktive Störung bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 fest, bewilligte eine monatliche Grundrente in Höhe von 218 Euro sowie eine Nachzahlung in Höhe 13.728 Euro. Im Januar 2012 zog die Klägerin in eine eigene Wohnung, wo sie seitdem ambulant betreut wird. Ihren Sozialhilfeantrag lehnte der Sozialhilfeträger mit der Begründung ab, dass zunächst das Vermögen von mehr als 19.000 Euro (Nachzahlungsbetrag sowie angesparte Teile der Grundrente) bis auf den für jeden Leistungsbezieher geltenden Freibetrag in Höhe von 2.600 Euro aufzubrauchen sei. Nachdem zunächst die Klage und Berufung der Klägerin erfolglos geblieben waren, konnte die Klägerin vor dem BSG einen ersten Erfolg verzeichnen. Denn nach den Ausführungen des BSG ist nicht der allgemeine sozialhilferechtliche Vermögensfreibetrag des SGB XII sondern der erheblich höhere Vermögensschonbetrag nach dem BVG zugrundezulegen.

Das BSG führt hierzu Folendes aus:

“Zu Unrecht ist das LSG davon ausgegangen, dass über den Betrag von 2600 Euro hinaus einem Anspruch im streitigen Zeitraum zu berücksichtigendes Vermögen der Klägerin uneingeschränkt entgegenstand. Der besonderen Stellung des Betroffenen und der Verantwortlichkeit des Staates gegenüber den Berechtigten wird im Anwendungsbereich des BVG auch nach der Neufassung zum 1.7.2011 dadurch entsprochen, dass im Ergebnis erheblich höhere Vermögensschonbeträge als 2600 Euro eingeräumt sind. Es ist der Klägerin deshalb in Anwendung der Härtefallregelung nach § 90 Abs 3 SGB XII ein weiterer Betrag einzuräumen, sodass ihr im Ergebnis der im BVG geschützte Betrag auch bei Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII verbleibt.”
(BSG, Urteil vom 30.04.2020, B 8 SO 12/18 R, Terminbericht, verkürzt wiedergegeben)

Obwohl die Grundrente sozialhilferechtlich nicht als Einkommen zu berücksichtigen sei, gehören Ansparungen aus diesen Leistungen seit einer Gesetzesänderung zum 01.07.2011 ausdrücklich zu dem für den laufenden Lebensunterhalt einzusetzenden Vermögen.
Aus der besonderen Stellung der Betroffenen und der Verantwortlichkeit des Staates gegenüber den Berechtigten könnten sich im Einzelfall aber auch weiterhin Härtefallgesichtspunkte ergeben, die eine (teilweise) Freistellung des angesparten Vermögens rechtfertigten.

Ob ein solcher Sachverhalt vorliegt konnte das BSG nicht abschließend entscheiden. Aus diesem Grunde hat das BSG die Sache zurück an das Landessozialgericht verwiesen, das nun erneut entscheiden muss. In jedem Fall geschützt ist nach den Ausführungen des BSG ein Vermögen aus einer Nachzahlung wegen dieser Gewalttat nicht nur in Höhe des allgemeinen Freibetrags nach dem SGB XII (seit dem 01.04.2017 in Höhe von 5.000 Euro, zuvor 2.600 Euro), sondern in Höhe des Betrags, der dem erheblich höheren Vermögensschonbetrag nach dem BVG entspricht (im Fall der Klägerin rund 7.500 Euro).