Erwerbsminderungsrente auch bei bestehender Therapiemöglichkeit

Ein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund einer psychischen Erkrankung kann auch gegeben sein, wenn die Therapiemöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind oder die psychische Erkrankung gar nicht erst therapiert wird. Dies hat das Sozialgericht Dresden mit Urteil vom 27.09.2019 entscheiden.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der 37-jährige arbeitslose Kläger beantragte bei der Deutschen Rentenversicherung aufgrund seiner überwiegend psychiatrischen Erkrankungen eine Rente wegen Erwerbsminderung. Wegen dieser Erkrankungen erfolgten bislang weder eine fachärztlich-psychiatrische Therapie, eine ambulante Psychotherapie, noch eine stationäre/ teilstationäre Psychotherapie. Die beklagte Rentenversicherung lehnte daher den Rentenantrag ab mit der Begründung, dass der Kläger nach ihrer sozialmedizinischen Beurteilung noch mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könne. Nach Auffassung der Beklagten liege ein sogenannter “Behandlungsfall” vor. Weil sich die Symptome des Klägers durch eine adäquate Therapie in einem überschaubaren Zeitraum bessern könnten, läge eine länger anhaltende quantitative Leistungsminderung nicht vor.

Der Kläger zog vor das Sozialgericht in bekam dort Recht. Die Beklagte wurde verurteilt, dem Kläger eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Das Sozialgericht führte dabei aus, dass Versicherte mit einer leistungsmindernden psychischen Erkrankung auch dann einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung haben, wenn vorhandene Therapie­möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft worden sind oder eine Behandlung bislang nicht stattgefunden hat. Die Behandlung und die Behandelbarkeit einer Erkrankung sei nicht ausschlaggebend. Vielmehr ist die Frage der Behandelbarkeit einer Erkrankung nur bei der Befristung der Erwerbsminderungsrente von Bedeutung, so das Gericht.

Eine Erwerbsminderungsrente kann bekommen, wer aufgrund eines amtsärztlichen Gutachtens nachweislich für voraussichtlich länger als sechs Monate weniger als drei Stunden täglich arbeiten kann. Eine fehlende Behandlung ändere daran nichts. Denn oftmals ist diese nicht durch die Versicherten selbst verschuldet, weil Therapieplätzen begrenzt sind oder sie fehlerhaft beraten wurden.

Eine Erwerbsminderungsrente kann nur wegen fehlender Mitwirkung verwehrt werden, wenn nachweislich erfolgversprechende Behandlungsmöglichkeiten bestehen und sich der Erwerbsgeminderte nach einer entsprechenden Aufforderung weigert, die entsprechenden Behandlungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen, so dass ihm die Verletzung von Mitwirkungspflichten vorzuwerfen sind.

(Sozialgericht Dresden, Urteil vom 27.09.2019, S 4 R 876/18)